Nordmetall-Verhandlungsführerin Lena Ströbele: „Warnstreiks verschwenden nur Zeit”

Interview mit Lena Ströbele, Nordmetall-Verhandlungsführerin.

Frau Ströbele, die IG Metall fordert 8 Prozent Tariferhöhung. Sie bieten 3000 Euro Einmalzahlung an – und keine konkrete Erhöhung der Monatslöhne. Wundert es sie, dass die Gewerkschaft streikt?
Verwundert bin ich vor allem darüber, dass die IG Metall den von uns angebotenen 3000 Euro so wenig Beachtung schenkt. Immerhin schöpfen wir damit den Rahmen für steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien, wie ihn die Regierung beschlossen hat, gleich auf Anhieb in voller Höhe aus. Außerdem zeigt unser Vorschlag ja auch, dass wir uns eine dauerhafte Erhöhung der Monatsentgelte vorstellen können – allerdings nur bei der von uns geforderten langen Laufzeit, um die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigen zu können.

Die IG Metall verlangt aber vor allem eine Erhöhung der Monatslöhne. Wie soll sich das zusammenfügen?
Es kann jedenfalls nicht so laufen, dass die IG Metall die angebotenen 3000 Euro wie eine Selbstverständlichkeit verbucht, die sie nebenbei schon mal einsammelt, bevor überhaupt die Tarifverhandlung über das Gesamtvolumen läuft. Der Staat stellt den Betrag zwar steuerund abgabenfrei. Es sind aber die Unternehmen, die ihn aufbringen müssen. Und das ist in dieser kritischen Wirtschaftslage für viele schon äußerst anspruchsvoll.

Also vorerst keine höheren Monatslöhne?
Noch einmal: Es kommt auf die Laufzeit an. Ich bitte aber sehr darum, zunächst die Dimension von 3000 Euro Inflationsprämie zur Kenntnis zu nehmen. Verteilt über eine Laufzeit von 30 Monaten wären das schon 100 Euro mehr im Monat – netto ohne Abzüge. Die Prämie hat den Vorteil, dass man sie stärker auf die Anfangsphase der Laufzeit konzentrieren kann. Das kann die Beschäftigten sofort spürbar entlasten. Kurzfristig hilft das sogar mehr als eine Erhöhung der Monatsentgelte. Und es kommt hinzu, dass die Inflationsprämie in den unteren Tarifgruppen prozentual die größte Entlastung bringt. Kombiniert mit einer möglichen Tabellenerhöhung bei entsprechender Laufzeit schaffen wir in mehrfacher Hinsicht die richtige Lösung für Unternehmen und Beschäftigte, Planungssicherheit für alle, schnelle Entlastung für die akute Situation und nachhaltige Entwicklung für die Zeit, in der es hoffentlich für uns alle wieder bergauf geht.

Welche Wirkung erzielt die IG Metall mit den Warnstreiks?
Knapp zusammengefasst: Im Grunde verschwenden die Warnstreiks nur Zeit, Energie und Geld. Sie ändern nichts an der Ausgangslage unserer Verhandlungen.

Erzeugen die Warnstreiks keinen Druck auf Sie, das Angebot zu erhöhen?
Wir können in der Tarifrunde nur das verteilen, was den Unternehmen wirtschaftlich zur Verfügung steht. Und die Warnstreiks ändern überhaupt nichts daran, dass wir für das kommende Jahr tarifpolitisch mit einer Rezession umzugehen haben, sie verschlimmern die Lage bloß noch. Und die angekündigten Ganztagsstreiks wären eine nicht zu rechtfertigende Eskalation.

Wie soll es dann weitergehen?
Nach drei Verhandlungsrunden kann ich sagen: Wir haben die Argumente der IG Metall aufgenommen und verstanden. Genauso müsste die IG Metall inzwischen auch unsere Positionen verstehen. Es liegt also alles auf dem Tisch, worüber zu reden ist. Daher wird es jetzt Zeit, dass sich auch die IG Metall bewegt. Ernsthaften Einigungswillen vorausgesetzt, sehe ich eigentlich keinen Grund, warum wir nicht innerhalb der nächsten zehn Tage eine Lösung finden sollten. Von mir aus gern auch früher.

Soll die Gewerkschaft denn jetzt öffentlich verkünden, dass ihre 8-Prozent-Forderung zu hoch gegriffen war?
Ich führe lange genug Tarifverhandlungen, um zu wissen, dass es so nicht laufen wird. Das Ausloten echter Lösungswege gelingt nur am Verhandlungstisch, nicht öffentlich. Deshalb werde ich Ihnen hier auch keine konkrete Prozentzahl nennen, die wir als Arbeitgeber in einer solchen Verhandlungsphase vorschlagen könnten. Und genauso wenig rechnen wir damit, dass die IG Metall ihre Forderung schon vorher öffentlich um x Prozentpunkte kürzt. Eines erwarte ich von ihr aber schon: dass wir jetzt schnell und ernsthaft in die Lösungsphase eintreten.

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht eine Regelung, die wirtschaftlich besonders belasteten Betrieben ein Abweichen von der allgemeinen Lohnerhöhung erlaubt?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die aktuelle Krise trifft Unternehmen je nach Branchen und Geschäftsfeld sehr unterschiedlich. Das erfordert eine Lösung, die eine solche Differenzierung dauerhaft mit einem an klare betriebswirtschaftliche Kennziffern gekoppelten Mechanismus automatisch erlaubt. Denn auch nach der Rezession bleiben die finanziellen Herausforderungen groß, Stichwort Klimawandel und digitale Transformation.

Derzeit blickt alles auf die Verhandlungen im Schlüsselbezirk Baden-Württemberg. Haben Sie im Norden denn mehr als eine Zuschauerrolle bei der Suche nach einer bundesweit tragfähigen Lösung?
Aber selbstverständlich! Wir wollen ja vorankommen, weil weitere Verzögerung am Ende allen nur schadet. Oder glauben Sie, wir treffen uns hier nur zum bloßen Zeitvertreib mit Herrn Friedrich, dem Bezirksleiter der IG Metall, und seiner Verhandlungskommission?

Das nicht. Aber werden die sogenannten Pilotabschlüsse nicht meist im Südwesten oder in Nordrhein-Westfalen erzielt?
Jedem Tarifabschluss geht eine fortlaufende enge Abstimmung unter allen regionalen Arbeitgeberverbänden voraus. Insofern beteiligen wir uns als Nordmetall ständig aktiv an der Lösungssuche. Aber da wir es diesmal mit einer Krise zu tun haben, die unsere Industrie in allen Regionen sehr gleichmäßig trifft, sehe ich uns auf Arbeitgeberseite diesmal auch in einer ganzen Reihe von Tarifgebieten in der Lage und willens, den Pilotabschluss zu verhandeln. Das gilt auch für uns hier im Norden.

Dieses Interview ist in der Frankfurter Allgemeinen erschienen.