Hessenmetall-Verhandlungsführer Oliver Barta: „Inflationsausgleich ist nicht unser Job”

Interview mit Oliver Barta, Hessenmetall-Verhandlungsführer.

Am Donnerstag treffen sich IG Metall und die Arbeitgeber zur dritten Verhandlungsrunde in Sulzbach. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?
Wenn man sich den Verlauf der Tarifverhandlungen anschaut, ist es klassisch, dass die IG Metall zunächst mal in der ersten Runde ihre Forderung vorlegt und wir uns dann in der zweiten Runde mit der wirtschaftlichen Situation beschäftigen. Jetzt in der dritten Runde wird es darum gehen, dass wir ein gemeinsames Verständnis der Lage entwickeln. Das ist uns bisher nicht gelungen. Wir wollen am Donnerstag mit vielen konkreten unternehmerischen Beispielen aufzeigen, dass wir eine überaus ernst zu nehmende wirtschaftliche Krise haben.

Mit welchem prozentualen Tarifangebot werden Sie in die Verhandlungen gehen? Bislang haben Sie noch keins vorgelegt.
Der Fokus liegt am Donnerstag auf der Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses über die wirtschaftliche Situation in unseren Betrieben. Dies eröffnet den Austausch über die wechselseitigen Vorstellungen zur Lösung. Wir sind in einer wirtschaftlichen Situation, die so schlecht ist wie zuletzt in den Siebzigern zu Zeiten der Ölkrise.

Die wirtschaftliche Gefährdung der Betriebe ist nicht von der Hand zu weisen. Die Gewerkschaft hält eine Lohnforderung von acht Prozent für verkraftbar.
In Anbetracht der Energiekrise geht es für viele Betriebe schlicht um die wirtschaftliche Existenz. Wir haben unsere Betriebe befragt: 35 Prozent der Betriebe in Hessen sehen sich wirtschaftlich gefährdet. Das ist sehr, sehr ernst zu nehmen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Wirtschaftsforscher des Ifo-Instituts. Uns droht eine Stagflation, eine Kombination aus hoher Inflation und wirtschaftlicher Stagnation. Das ist das schlechtestmögliche Szenario, in dem die Tarifparteien verhandeln. Das ist ein Balanceakt.

Fänden Sie es denn richtig, wenn die Beschäftigten dieses Jahr infolge der hohen Inflation einen erheblichen Reallohnverlust hinnehmen müssen?
Diese reale Lohnentwicklung ist ja keine Folge von Unternehmensentscheidungen, sondern Ergebnis von Ereignissen außerhalb der Betriebe. Auch Unternehmen müssen schließlich mit steigenden Preisen kämpfen. Es ist nicht der Job der Unternehmer, solch eine Inflation auszugleichen.

Können Sie Arbeitnehmern die Angst vor einer Nullrunde nehmen?
Sie ist für mich nur dann eine Option, wenn wir in eine Energiemangellage kommen und die Produktionen zusammenbrechen. Diese Problematik werden wir jetzt in dieser Tarifrunde ganz intensiv diskutieren müssen. Momentan sieht es nicht danach aus.

Die IG Metall hat Betriebsräte befragt, demnach sind Auftragslage und Auslastung in drei Viertel der Unternehmen gut oder sehr gut. Wie passt deren Optimismus zu Ihrem Pessimismus?
Das ist eine frühere Momentaufnahme der Betriebsräte, wir dagegen sehen die aktuelle Gefährdungseinschätzung und auch die Zukunftsaussichten. Wie den Beschäftigten stehen auch Unternehmen noch die ganz großen Energiepreiserhöhungen ins Haus. Zudem ist die Lage der Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie sehr heterogen.

Wie hoch ist denn für die Branche die Belastung an steigenden Energiekosten?
Das hängt sehr stark vom Betrieb ab, wir vertreten Gießereien und Automobilzulieferer, die hohe Energieverbräuche haben, ebenso wie IT-Dienstleister, die Preiserhöhungen weniger spüren. Deswegen bin ich überzeugt, dass wir im Tarifvertrag stärker differenzieren sollten.

Nach Aussage der Gewerkschaft können sie das durchaus, denn Personalkosten machten demnach ohnehin nur zehn bis 15 Prozent aller Kosten aus.
Das ist in dieser Allgemeinheit falsch. Es gilt für hoch internationalisierte Großkonzerne. Die meisten unserer mittelständisch geprägten Betriebe haben einen viel höheren Personalkostenanteil von 30 teilweise bis zu 50 Prozent. Am Ende ist es die Summe der Belastungen. Letztlich könnte die Tariferhöhung der berühmte Tropfen sein, der für viele das Fass zum Überlaufen bringt, wenn die Kosten nicht mehr zu verkraften sind.

Nach welchen Kriterien sollte denn im Tarifvertrag differenziert werden?
Schon in der letzten Runde haben wir Unternehmen ermöglicht, bei einer schwierigen wirtschaftlichen Situation eine tarifliche Einmalzahlung zu verschieben oder ausfallen zu lassen. Das muss man wieder in Betracht ziehen. Ein gewisses finanzielles Ergebnis muss gewährleistet sein, ansonsten wird der Bestand des Betriebes gefährdet.

Würde dann der Tarifvertrag nicht noch komplexer, als er ohnehin schon ist?
Mein Ziel ist es tatsächlich, den Tarifvertrag zu vereinfachen. Es kann nicht sein, dass ich bei einer Neueinstellung erst einmal eine Stunde lang den Entgelttarifvertrag erklären muss. Auch inhaltlich tun wir uns damit keinen Gefallen. Die Unternehmensverwaltungen müssen ihn leicht umsetzen können.

Aber lassen sich Vereinfachung und Differenzierung zugleich erreichen?
Die Vielzahl von Einmalzahlungen und Sonderregelungen müssen perspektivisch verschwinden. Wichtig ist letztlich, was unterm Strich steht. Der Tarifvertrag muss schließlich wieder vermittelbar werden. Und eine Differenzierung wäre nicht sehr komplex, zuletzt hatten wir eine Grenze für die Umsatzrendite von 2,3 Prozent (Ebit) festgeschrieben.

Sie könnten es sich einfach machen und den Tarifabschluss der Chemiebranche übernehmen: Zwei Einmalzahlungen von je 1500 Euro plus zweistufige Lohnerhöhung von insgesamt 6,5 Prozent.
Das erscheint nur auf den ersten Blick naheliegend, tatsächlich ist die Situation bei uns eine völlig andere. Unsere M+E-Industrie ist von mittelständischen Betrieben geprägt, nicht von Großunternehmen wie in der Chemie. Der Chemieabschluss mit einer steuer- und abgabenfreien Inflationsprämie wird dennoch zu diskutieren sein.

Wann rechnen Sie mit einem Abschluss?
Hoffentlich zügig, das ist mein Anspruch. Es ist weder den Beschäftigten noch den Unternehmen vermittelbar, wenn wir in Krisensituationen langwierig verhandeln. Deswegen ist es mein Ziel, dass wir jetzt am Donnerstag ein Einverständnis über diese Gesamtsituation erreichen. Wenn wir das geschafft haben, sollten wir in den nächsten ein bis zwei Verhandlungen dann zu einem Ergebnis kommen.

Die Friedenspflicht der Gewerkschaften endet aber schon am 28. Oktober, drohen dann Streiks?
Für mich sind Warnstreiks ein nicht mehr zeitgemäßes Ritual. Sie sind nicht geeignet, die Verhandlungsergebnisse schneller herbeizuführen. Verhandlungen werden gemeinsam am Tisch geführt. Jetzt mit roten Fahnen auf die Straße zu gehen ist völlig aus der Zeit gefallen.

Dieses Interview ist in der Rhein-Main Zeitung erschienen.