Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Rhein-Wupper Andreas Tressin: „Die IG Metall muss Vernunft walten lassen“

Interview mit Andreas Tressin, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Rhein-Wupper.

Herr Tressin, erst Corona, jetzt Lieferprobleme und Energiemangel, garniert mit einer Rekord-Inflation. Wie soll man da über Löhne verhandeln?
Ja, in der Tat, ich befürchte schwierige Verhandlungen, weil die angesprochenen Krisenszenarien fast täglich größer werden. Alles zusammen wirkt sich immer negativer auf die Geschäftserwartungen der Unternehmen aus. Es kann deshalb nicht überraschen, dass sich auch nach Einschätzungen der führenden Wirtschaftsinstitute gerade eine Rezession zusammenbraut. Es brennt also an allen Ecken und Enden. Die Summe der Belastungen ist derart groß geworden, dass immer mehr Firmen Liquiditätsprobleme haben, also ums nackte Überleben kämpfen.
Da ist die IG Metall gefordert, Vernunft walten zu lassen, damit die Lohnpolitik nicht als zusätzlicher Inflationstreiber wirkt, indem sie die Unternehmen zwingt, steigende Personalkosten auf die Preise zu überwälzen. In Kombination mit den hohen Preisen für Vorleistungen, Rohstoffe und Energie ist nämlich die Überwälzung schon jetzt unausweichlich. Dazu kommt: Immer mehr Unternehmen können die höheren Kosten nicht weitergeben und müssen sich fragen, ob sich ihr Geschäftsmodell überhaupt noch rechnet.

In einer anderen Hochlohn-Industrie, der Chemischen, haben sich die Parteien zuletzt auf eine Einmalzahlung geeinigt. Zwecks Zeitgewinn. Ein Vorbild?
Zumindest eine denkbare Option einer tariflichen Lösung in Krisenzeiten, von denen beide Seiten etwas haben. Die Beschäftigten bekommen nämlich schnell zusätzliches Geld, und für die Arbeitgeber entstehen langfristig keine höheren Kosten. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass es gerade viele Unternehmen gibt, die sich nur einen Anteil oder auch keine Einmalzahlung leisten können. Für diese Fälle müssen die Tarifparteien natürlich auch ein entsprechendes Instrumentarium zur Verfügung stellen.

Was ist mit Blick auf explodierende Energiepreise und die Gefahr, Anlagen aus Energiemangel abschalten zu müssen, besser: Ein Abschluss mit langer oder kurzer Laufzeit?
Ein Abschluss mit längerer Laufzeit hat für beide Seiten immer den Vorteil der größeren Planungssicherheit. Aber letztlich geht es nicht allein um die Laufzeit eines Tarifvertrages, sondern darum, die Arbeitsbedingungen entsprechend der wirtschaftlichen Lage zu regeln. Unter Berücksichtigung der angesprochenen multiplen Bedrohungen, die in ihrer Dynamik überhaupt nicht mehr planbar und steuerbar sind, brauchen wir einen Pakt für Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit und keine Wettrennen um Lohnprozente. Es geht jetzt um Standort- und damit Beschäftigungssicherung.

Die Arbeitgeber beklagen seit geraumer Zeit, dass die Kosten der Digitalisierung nicht beachtet werden. Lassen sich dazu denn überhaupt belastbare Aussagen machen?
Es gibt da kein Kostenrechenmodell aus der Schublade. Aus meiner Sicht schon deshalb nicht, weil überhaupt nicht absehbar ist, welche Wertschöpfungsdimensionen sich eröffnen, wenn digitale Ansätze in die Arbeitswelt integriert werden. Soviel weiß man aber sicher: Wo diese neuen Technologien unbeachtet oder nur marginal ausgeschöpft und Mitarbeiter nicht entsprechend fort- und weitergebildet werden, wird der heutige Wettbewerbssieger sicherlich zum Verlierer.

Selbst die Unternehmen im Chempark haben inzwischen Probleme, Nachwuchs zu finden. Müssen Metall- und Elektroindustrie da nicht mit hoher Bezahlung punkten?
Diese Entscheidung muss letztlich jeder Unternehmer selbst treffen. Es ist nicht die Aufgabe der Tarifparteien, auch noch „Employer Branding“ zu betreiben.

Was ist eigentlich schlimmer: Ein um ein halbes Prozent höherer Tarifabschluss oder ein Streik über eine Woche?

Damit sprechen Sie ein Dilemma an, was dem aktuellen Tariffindungssystem als Makel anhaftet: dass nämlich Entgelte und alle anderen Arbeitsbedingungen allein über angedrohte oder vollzogene „Warnstreiks“ ohne einen bestimmbaren und damit justiziablen gesetzgeberischen Regelungsrahmen erzwungen werden können. Es geht gerade nicht darum, ob ein um ein halbes Prozent höherer Tarifabschluss besser zu verkraften ist als ein einwöchiger Streik. Sondern darum, ob die Lohnforderung für die Unternehmen noch als Mindestarbeitsbedingung zu verkraften ist. Auf keinen Fall aber darf sein, dass die Kollateralschäden von Streiks Maßstab dafür ist, ob eine Lohnerhöhung angemessen ist. Das Dilemma zeigt, dass Krisen nur im Konsens zu managen sind. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt müssen deshalb die Tarifvertragsparteien ein Vorbild sein. Wir müssen also alles vermeiden, die aktuellen Probleme auf der Straße auszutragen.

Dieses Interview ist im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen.