Gesamtmetall-Präsident Dr. Stefan Wolf: „Das Wichtigste ist ein Arbeitsplatz“

Interview mit Dr. Stefan Wolf, Gesamtmetall-Präsident.

Angesichts der hohen Preissteigerungen will Kanzler Olaf Scholz Arbeitgeber und Gewerkschaften zu einer „konzertierten Aktion“ zusammenrufen. Was halten Sie davon?
Stefan Wolf: Wir begrüßen das ausdrücklich. Denn wir haben eine ganz schwierige Situation, wie ich sie noch nie erlebt habe. Von Lieferkettenproblemen und knappen Materialien über die Folgen des schrecklichen Kriegs in der Ukraine bis zur Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung. Es ist also eine gute Idee, wenn der Bundeskanzler alle Akteure an einen Tisch bringt. Ziel müssen schnelle und pragmatische Lösungen unter anderem zur Bekämpfung der Inflation sein.

Was stellen Sie sich da vor?
Ich befürchte, dass manche Unternehmen im Lauf dieses Jahres Überbrückungshilfen brauchen. Die Situation ist aberwitzig: Viele Betriebe in der Metall- und Elektroindustrie haben einen hohen Auftragsbestand, vor allem die Autohersteller und Zulieferer. Aber es wird nichts abgerufen. Dabei müssen sie Material einkaufen und ins Lager legen. Das müssen sie bezahlen, auch wenn kein Umsatz kommt. Und wir müssen mit der IG Metall reden, wie wir das Thema Lohnkosten in den Griff bekommen. Denn jede weitere Steigerung führt zu massiven Belastungen.

Was kann die Regierung noch tun?
Denkbar sind Steuererleichterungen, auch vorübergehend. Während Corona wurde die Mehrwertsteuer für ein halbes Jahr gesenkt. Das brächte eine Entlastung für die Verbraucher. Allerdings müsste der Staat dann versuchen, an anderer Stelle zu sparen.

Ende Juni beschließt die IG Metall ihre Forderung für die diesjährige Tarifrunde. In der Stahlindustrie fordert sie 8,2 Prozent. Angesichts von fast 8 Prozent Inflation liegt das auch in der Metallindustrie nahe. Müssen Sie sich darauf einstellen?
Die Frage ist doch eher, ob sich die IG Metall damit einen Gefallen tut. Das Wichtigste für die Menschen ist, einen Arbeitsplatz zu haben. Es hilft keinem, wenn Firmen überfordert werden und sie nicht mehr in der Lage sind, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten. Diese Gefahr sehe ich. Die Situation der einzelnen Unternehmen ist sehr unterschiedlich und volatil. Es gibt große Unsicherheit, und die Lage der Unternehmen ist extrem heterogen. In manchen Betrieben läuft es noch gut, in anderen – vor allem unter den Automobilzulieferern – dagegen sehr schlecht. Dort gibt es nichts zu verteilen.

Da verweist die IG Metall darauf, dass die großen Konzerne ihre Dividenden erhöht haben.
Das stimmt, manche haben gut verdient. Aber wegen Corona und des Halbleitermangels haben etwa die Autohersteller viele hochwertige Autos gebaut und kaum kleinere. Das ist nicht nachhaltig und ändert sich wieder. Wegen so kurzfristiger Veränderungen die Tariflöhne dauerhaft zu erhöhen, wäre unklug. Wir haben es auch in den Corona-Jahren 2020 und 2021 geschafft, vernünftige Lösungen zu finden. Durch Einmal- und Sonderzahlungen sowie andere Instrumente gab es seit 2018 mehr als neun Prozent mehr Geld für die Arbeitnehmer. Und die neuen Sonderzahlungen sind genauso dynamisch wie die Lohntabellen. Klar ist: Wir brauchen automatische Differenzierungsmöglichkeiten für Betriebe, die das nicht bezahlen können.

Die Chemieindustrie hat im April eine Einmalzahlung für alle Tarifbeschäftigten bei einer kurzen Laufzeit vereinbart. Wäre das auch für Sie eine Möglichkeit?
Einmalzahlungen vermeiden Ewigkeitskosten. Wir wissen alle nicht, was kommt. Wenn wir im Herbst nochmal eine schwere Corona-Welle bekommen und die Intensivstationen überfüllt sind, drohen wieder massive Einschränkungen. Ähnliches gilt für dramatische Entwicklungen in der Ukraine, oder wenn uns Putin das Gas abstellt.

Müssen Sie sich auf eine besonders harte Tarifrunde mit Streiks einstellen?
Damit rechne ich. Bei einer hohen Forderung werden Unternehmer bereit sein, drastischere Maßnahmen hinzunehmen. Als Sozialpartner haben wir auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Der müssen wir in der jetzigen Situation gerecht werden. Die Teuerung ist für alle gleich. Der Liter Milch kostet für die Krankenschwester und den Altenpfleger genauso viel wie für unsere Mitarbeiter, deren Einkommen viel höher sind. Ein Ehepaar, das bei uns in der Produktion beschäftigt ist, kommt zusammen auf fast 10 000 Euro im Monat. Davon sind in der Pflege beschäftigte Paare weit entfernt. Die Schere darf nicht immer weiter auseinandergehen.

Die Metaller können Reallohnverluste durchaus verkraften?
Auf dem Niveau, auf dem wir uns bewegen, finde ich schon. Wir haben ein hohes Wohlstandsniveau, und das ist nicht gottgegeben. Wir werden allesamt Abstriche machen müssen. Auch die IG Metall muss erkennen, dass es nicht immer nur Wachstum gibt. Das geht den Unternehmen ja auch so.

Dieses Interview ist in der Südwest Presse Zeitung erschienen.